Symposium zum erweiterten Kunstbegriff / Peter Friese
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In Vorbereitung auf den HELIX-HOCHBAU
Symposium zum erweiterten Kunstbegriff (Kunsthaus Essen, 1995)
PETER FRIESE:

"Was mich etwas unsicher macht, ist, daß ich keine klaren oder programmatischen Rezepturen in bezug auf Kunst verkünden kann. Anpassung könnte eine subversive Leistung, es könnte eine affirmative Strategie sein, künstlerisch gesehen. Der Künstler könnte 'ja' sagen zu etwas und damit das, wozu er 'ja' sagt, subversiv unterhöhlen. Er könnte einen wie auch immer gearteten Impuls dorthin geben, wo er eigentlich etwas bewirken oder verändern will. Es gibt unterschiedlichste Möglichkeiten in verschiedene Richtungen, aber kein Rezept für einen Endzustand, in dem Kunst harmonisch eins werden könnte mit dem Leben." (…)


"Ich erinnere an eine Sache, die mich sehr beeindruckt hatte, obwohl ich sie nicht live erlebt habe. Da hat Jochen Gerz einen kleinen Zettel auf den Sockel des berühmten 'David' von Michelangelo geklebt, auf dem stand: 'Attenzione, I'arte corrompe', also: 'Achtung, Kunst korrumpiert'. Das hat die Leute sehr verunsichert, denn sie haben dort im Gefilde der Kunst, wo sie eine Sicherheit vermuteten, plötzlich eine Unsicherheit gespürt, einen Gegenwind. Mit den Mitteln einer sich gar nicht künstlerisch gebärdenden Aktion, die man eher von studentischen Flugblatt- und Plakatieraktionen her kannte, machte Gerz in dieser Bewegtheit der 68er Zeit etwas, was ihnen den Kunstgenuß vergraulte. Er führte in die Kunst ein, indem er die Kunst wegnahm. Er versuchte, Kunst zu verwirklichen, indem er Kunst kaputtmachte. 'Kunst ist Ersatz für nicht gelebtes Leben!' wäre ein ähnlich denunziatorisch vorgetragenes Statement desselben Künstlers.
Jedenfalls: Von solchen und ähnlichen Aktionen aus hatte man die Vorstellung, daß Kunst und Leben in irgendeiner Weise sinnvoll miteinander verschmelzen könnten."

"Aber wir haben in den 80er Jahren ja beobachtet, wie Museumswunderdirektoren und Wunderkulturdezernenten Museumsmeilen aufmachen und wie Mammutausstellungen organisiert werden für ein Publikum, das saturiert wie zur Erhöhung kultureller Einschaltquoten massenhaft Kunstausstellungen besucht. Das ist in den 90ern schon wieder etwas vorbei, aber noch gut in Erinnerung. Das Leben hat sich der Kunst in einer Weise geöffnet, wie das Künstler in den 60er Jahren gar nicht zu hoffen wagten. Denn das ist es sicher nicht gewesen, was sie einst erreichen wollten..."

(…)

"Ich meine noch immer, daß Kunst dort anfängt, wo Kommunikation aufhört, wo das ist, was wir nicht – oder noch nicht – verstehen. Darüber kann man z. B. in der Kunst und von den Künstlern etwas erfahren – in der für die Kunst eigentümlichen, oft hermetischen Art und Weise. Deswegen ist für mich auch der von Aby Warburg so benannte 'Besonnenheitsraum Kunst' so wichtig, weil es hier um Erfahrungen und Erkenntnisse geht, die außerhalb der Kunst so nicht möglich wären. Wenn diese heiklen, sicher auch schwierigen Dinge einer Erweiterungspraxis unterworfen werden, die sie im platten Sinne dem Leben anverwandelt, drohen sie, einem Populismus, der nichts mehr mit Kunst zu tun hat, zum Opfer zu fallen und im Diskurs von Mitmachkultur unterzugehen." (…)

Nach dem Symposium
erschien die Transkription als
Publikation.
ISBN 3-931201-03-1
5 € (+ 3 € Versandkosten)
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Den kompletten
Text gibt's auch hier als
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